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Oratorien - "Jesus Passion"
von Oskar Gottlieb Blarr


Aufführungen: 2001

Portrait: D. Modersohn und O. G. Blarr Am 25. März 2001 wurde unter Mitwirkung der Frankfurter Kinder- und Jugendkantorei, der ökume- nischen Kantorei und dem Staatsorchester Frankfurt (Oder) in der St. Gertraud- kirche zu Frankfurt (Oder) Oskar Gottlieb Blarrs "Jesus-Passion" aufgeführt. Die drei oratorischen Szenen für sechs Soli, gemischten Chor, Kinderchor und Orchester, auf Texte der hebräischen Bibel, des neuen Testaments, des Talmud und jüdische Lyrik des 20.Jahrhunderts, wurden innerhalb der "Woche der jüdisch-christlichen Versöhnung" und der "Musikfesttage an der Oder" aufgeführt.



Portrait: Ein Chor und sein Kantor O. G. Blarr zum Programm: Als ich im September 1981 für acht Monate nach Israel ging und zwangsläufig in die Problematik "Juden-Christen-Moslems" und "Israel und Deutschland" gestellt war, ergaben sich erste Überlegungen, die dort erlebte Jesus-Nähe auf dem Hintergrund des Landes und damit der Geschichte musiklisch zu gestalten. Ich erlebte die Jesus-Geschichte als gerade Geschehenes. Der Einzug in Jerusalem war vor einer Woche, die Kreuzigung vor drei Tagen, Ostern war heute früh. Wie konnte ich das mit meinen musikalischen Mitteln deutlich machen? Die alte hebräische Sprache ist ja entgegen landläufiger Meinung - eine höchst lebendige Sprache. Die alte Musik aus der Zeit Jesu lebt noch bei den Jeremiten, bei den Samaritanern, bei den Alt-Syrern. Die Treppe der "Aufstiegsgänge", die Hulda-Treppe im Süden des Tempels mit ihren 28 ungleich langen Stufen, ist wieder freigelegt. Jesus stieg die Treppe empor, die vorgeschriebenen "Stufelpsalmen" singend. Das Haus des Kathros, von dem das Protestlied im Talmud berichtet, ist nahe der Westmauer wieder freigelegt, und noch hat der Ölberg viel von dem bewahrt, was er 2000 Jahre lang war: Garten und Hang der Ölgewinnung im Angesicht des Tempelberges.

Die Texte meiner drei oratorischen Szenen stammen vorwiegend aus der Bibel. Für die Stellen aus dem Neuen Testament wählte ich die Rekonstruktion durch Delitsch, von dem David Flusser sagt, sie träfe am besten den Ton der biblischen Sprache.

Im ersten Teil wollte ich das Königsthema im Lebensweg Jesu hervorheben, auch in seiner politischen Dimension. Das Evangelium nach Johannes hat hierzu wesentliche Elemente überliefert. Der abschließende mittelalterliche Versus "Aus hartem Weh die Menschheit klagt" ist eine der wenigen nachbiblischen Strophen, die Juden und Christen gemeinsam beten können.

Im zweiten Teil taucht ein aramäisches Protestlied aus der Zeit Jesu auf. Es ist im Talmud (Pessachim 57 A) überliefert. Im zweiten Teil steht aber auch ein Text aus der Zeit des deutschen Frühpietismus, "Im Garten leidet Christus Not", im Originalsatz des Königsberger Domkapellmeisters Johann Eccard. Diese Montage ist ein doppeltes Bekenntnis, einmal zu meiner ostpreußischen Heimat, in der ich zuerst von Jesus hörte, und zwar durch die Lebensweise des ländlichen evangelischen Pietismus, zum andern ein Bekenntnis zu Jesus, als dem Christus, dem Messias. So habe ich als Kind die Nachricht von Jesus empfangen, und so hat sie sich in mir ausgebildet. Der dritte Teil beginnt mit einem Gedicht des jüdischen Lyrikers Pinchas Sade (1921-1993). Sein Schnee-Gedicht entstammt einem ganzen Jesus-Zyklus, der 1976 in hebräischer Sprache erschien.

Zum Thema "Schnee" sollte für europäische Ohren angemerkt werden, dass Schnee in Jerusalem etwas Schreckliches, etwas Ungewöhnliches, Lähmendes ist, ein Kollaps der Natur. Schnee als Symbol für's Leichentuch. An diesem Gedicht fasziniert die Rolle der Frauen, denen in der Überlieferung der Passionsgeschichte eine große Bedeutung zukommt. Hinzu kommt noch folgender historischer Sachverhalt, der in den Evangelien auch anklingt: Eine angesehene Frauengruppe in Jerusalem hatte das Privileg, den zum Tode Verurteilten Sterbehilfe zu leisten. Diese Frauen durften die bereits unberührbar gewordenen begleiten und ihnen den schmerzlindernden Rauschtrank (mit Myrrhe versetzten Essigwein) reichen. Der folgende Text, "Requiem", von Alfred Kittner (1906-1991), greift das Schnee-Motiv auf und gestaltet Erinnerungen an seine Erfahrungen im KZ. Mag sein, dass man einen Text von solcher historischer Nähe nicht komponieren sollte - mir war er wichtig als Rückbezug zur Stunde äußerster Einsamkeit des Juden Jesus, auf die Stunden äußerster Einsamkeit von Jesu Brüdern in der Zeit der Schoah.

Danach folgte ich wieder historischen Gegebenheiten: Sicher hat Jesus die Gottesknechtslieder des Jesaja meditiert (Jes. 53); sicher hat er den Sterbepsalm gebetet. Und sicher hat er mit letzter Kraft das Sch'ma Israel (5. Mose 6,4) gerufen, das "höchste Gebot", wie er es nach Markus 1 2,29 selbst genannt hat. Dieses Sch'ma wird von den Evangelisten zwar nicht als Wort am Kreuz überliefert, aber wenn bei Markus 15,37 lapidar steht: "... und Jesus schrie laut und verschied", dann ist diese Markus-Stelle zumindest offen für meine Deutung, Jesus sei die Worte des höchsten Gebotes hinausschreiend gestorben.

Am Schluss steht die bei Lukas übermittelte große Enttäuschung "und wir hatten gedacht, er werde Israel erlösen". Ich habe die Worte den Kindern in den Mund gelegt, jenen, die im ersten Teil als erste Jesus als den König und Heiland ausgerufen hatten. Mit Worten aus der alttestamentlichen Auferstehungshoffnung "und am dritten Tag wird er uns aufheben und wir werden vor ihm stehen" klingt das Werk aus, eingebettet in den Psalmvers "Meine Seele ist stille zu Gott, der mir hilft". Es sind die ersten Worte, die ich als Kind zu buchstabieren lernte.

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